"DINGE, DIE UNS VERBINDEN - Bezirksbürgermeister Martin Hikel und Superintendent Christian Nottmeier im Interview

"DINGE, DIE UNS VERBINDEN - Bezirksbürgermeister Martin Hikel und Superintendent Christian Nottmeier im Interview

"DINGE, DIE UNS VERBINDEN - Bezirksbürgermeister Martin Hikel und Superintendent Christian Nottmeier im Interview

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"DINGE, DIE UNS VERBINDEN - Bezirksbürgermeister Martin Hikel und Superintendent Christian Nottmeier im Interview

Fast zeitgleich starteten Martin Hikel und Christian Nottmeier im Frühjahr 2018 als Bezirksbürgermeister und Superintendent. In unserem Interview blicken sie zurück auf ihre Anfangszeit im neuen Amt, die ersten gemeinsamen Begegnungen und erzählen, was sie in ihrem Engagement für den Bezirk bis heute verbindet.

Entstanden ist das Interview für die Erstausgabe vom „Britzlicht“, der neuen gemeinsamen Gemeindezeitung der Nachbargemeinden Britz-Dorf und Hephatha. Die Startnummer des „Britzlichtes“ finden Sie hier:

Sie haben beide im Frühjahr 2018 Ihr neues Amt als Bürgermeister und Superintendent angetreten. Welche Erinnerungen verknüpfen Sie mit diesem Neuanfang?

Martin Hikel: Eine unerwartete Ehre. Als Lehrer befand ich mich damals gerade mit meinen Schülerinnen und Schülern in der Abiturphase und habe sie auf diese wichtige Prüfung vorbereitet. Politik in Neukölln zu machen war für mich bis dahin immer ein Ehrenamt. Durch den Wechsel meiner Vorgängerin Franziska Giffey ins Bundesfamilienministerium, bin ich plötzlich vor die Frage gestellt worden, ob ich mir vorstellen könnte, als Neuköllner Bürgermeister Verantwortung zu übernehmen. Ich habe in Neukölln mein Abitur gemacht, bin - im wahrsten Sinne des Wortes - hier groß geworden und hatte große Freude mit meinem Beruf. Die Entscheidung fiel mir also überhaupt nicht leicht. Aus dem Ehrenamt ist ein Hauptamt geworden, aber die Ehre bleibt ewig. Ich habe meine Schülerinnen und Schüler natürlich trotzdem zum Abitur begleitet, das war mir wichtig.

Christian Nottmeier: Für mich war dieser Neubeginn mit einem Wechsel der Kontinente und einem nicht unkomplizierten Umzug verbunden. Am 8. April 2018 war mein Abschiedsgottesdienst in Pretoria. Drei Tage später sind wir dann schon in Tegel gelandet und am 16. April war mein erster Arbeitstag in der Superintendentur. Es war toll, wie freundlich und warmherzig ich empfangen wurde. Trotzdem war das natürlich ein bedeutender Einschnitt in meinem Leben. Es ist eine Stärke unserer Kirche, dass wir Feiern und Rituale haben, um solche Abschiede und Neuanfänge zu gestalten. So gab es dann am 6. Mai den feierlichen Einführungsgottesdienst in der Magdalenenkirche. Ich habe dabei auch gemerkt: Hier ist eine Gemeinschaft von Christinnen und Christen, die dich in deinem Dienst trägt. Das bedeutet mir viel und hat das Einleben und Kennenlernen leichter gemacht.

Bei welcher Gelegenheit haben Sie sich dann hier in Neukölln kennengelernt?

Christian Nottmeier: Martin Hikel hat an meinem Einführungsgottesdienst in der Magdalenenkirche teilgenommen. Wir hatten uns aber schon eine Woche vorher beim 50. Jubiläum der Martin-Luther-King-Kirche getroffen. Dass wir beide neu in den Ämtern waren, war gleich ein Thema. Uns haben ähnliche Fragen beschäftigt und auch weiter begleitet: Was macht dieses Amt eigentlich mit mir? Wie kann ich es angemessen ausfüllen? Welche Erwartungen kann ich erfüllen, wo muss ich auch einmal Erwartungen enttäuschen? Aber auch: Wie können wir gemeinsam etwas für die Menschen in Neukölln erreichen? Ich finde es sehr bereichernd, dass das, neben den praktischen Fragen, die wir auch immer wieder miteinander besprechen, ein roter Faden ist, der uns verbindet.

Martin Hikel: Ich habe Christian Nottmeier bei meinen ersten Besuchen in den Neuköllner Kirchengemeinden kennengelernt. Zuerst beim Jubiläumsgottesdienst in der Martin-Luther-King-Kirche und anschließend bei seinem Einführungsgottesdienst in der Magdalenenkirche, ein hoch offizieller Akt und das gleich zu Beginn meiner Amtszeit. Als neuer Bürgermeister, noch frisch im Amt, sollte ich dann vor vielen belesenen und gelehrten Offiziellen der evangelischen Kirche ein Grußwort halten. Da war ich schon sehr aufgeregt. Also insofern war unser erstes Kennenlernen für mich von großer Aufregung begleitet.

Kirche und Politik verbinden in Neukölln viele Themen. Was liegt Ihnen in der Zusammenarbeit besonders am Herzen?

Martin Hikel: Neukölln mit seinen 330.000 Einwohnern aus über 150 Nationen muss sich immer wieder die Frage stellen, wie der soziale Zusammenhalt organsiert und erhalten werden kann. Also Antworten auf Umstände finden, die diesen sozialen Zusammenhalt bedrohen. Das waren in den Jahren vor Corona ganz offensichtlich steigende Mieten, fehlender bezahlbarer Wohnraum und eine sich segregierende Stadt. Menschen sind aus der Stadt an den Rand verdrängt und Nachbarschaften anderenorts neu gemischt worden. Hier schwingen Fragen von Integration und Teilhabe mit genauso wie von Jugendarbeit, Bildung und Wohnungsbau. In Neukölln haben wir auf diese Umstände gute Antworten gefunden, bei denen uns Träger der evangelischen Kirche tatkräftig unterstützen, ob das das Nachbarschaftszentrum in Buckow oder die Stadtteilmütter für ganz Neukölln sind. Solidarisch Nachbarschaften organisieren ist eine Daueraufgabe, die uns verbindet und die durch Corona nur an Relevanz gewonnen hat.

Christian Nottmeier: Kirche wie Politik haben – aus unterschiedlichen Perspektiven – einen Blick auf das, was man klassisch Gemeinwohl nennt. Mir liegt im politischen Raum v. a. an Themen wie Menschenwürde, Religionsfreiheit und gesellschaftlichem Zusammenhalt in den großen Herausforderungen, die vor uns liegen. Konkret sind mir dabei die Fragen von Bildung, Armut und die Fähigkeit zum Dialog auch zwischen sehr unterschiedlichen Positionen wichtig. Als Kirche versuchen wir, uns in verschiedenen Bereichen einzubringen. Ich denke an Kitas, an die Diakonie und verschiedene Angebote der Jugendarbeit.

Wenn Sie den jeweils anderen beschreiben sollten: Was schätzen Sie an ihm besonders?

Christian Nottmeier: Mich hat bei meiner Einführung beeindruckt, wie präzise sich Martin Hikel auf diesen Anlass vorbereitet hatte. Sein Grußwort war eine sehr persönliche Auseinandersetzung mit den Werten des christlichen Glaubens und der Frage, wie sie auch für das Wirken im Bezirk eine Rolle spielen konnten. Das hat mich beeindruckt und zeigt mir, dass wir mit einigen gemeinsamen Ideen und Werten unterwegs sind. Wobei ich hinzufügen möchte, dass ich diese Offenheit auch bei den anderen Bezirksstadträten, mit denen ich zusammenarbeite, wahrnehme. Das ist in Neukölln schon etwas Besonderes, ein Pragmatismus für das gemeine Wohl jenseits ideologischer Grabenkämpfe. Jedenfalls gibt es da – neben einer persönlichen Sympathie, Dinge, die uns verbinden: Eine Orientierung an gewissen - auch bei Martin Hikel - christlich geprägten Werten. Und ein gemeinsames Interesse, für die Menschen in unseren jeweiligen Amtsbereichen gemeinsam das Beste zu suchen.

Martin Hikel: Ich schätze die Besonnenheit von Christian Nottmeier. Mich hat sehr beeindruckt, mit welcher Professionalität er das Amt hier angetreten hat. Von Südafrika nach Neukölln - das ist schon etwas mehr als ein Tapetenwechsel. Hier in Neukölln musste er sozusagen neu starten: hier ankommen, sich allen vorstellen und sich mit Sicherheit dem einen oder anderen Vergleich „des Neuen“ mit den Vorgängern stellen. Mit welcher Besonnenheit er das gemacht hat, hat mich beeindruckt. Ich schlussfolgere die Besonnenheit übrigens aus den klugen, engagierten Predigten, die mit viel Herzblut vorgetragen werden aber nie aufgeregt sind. Ich glaube, da schwingen Eigenschaften mit, die dem Kirchenkreis und damit dem Bezirk guttun.

Herr Hikel: Was kann die Politik von der Kirche lernen? Herr Nottmeier: Was die Kirche vielleicht von der Politik?

Martin Hikel: Sachliche Diskussionen zu führen. In politischen Gremien wird zwar meistens an der Sache, aber nie ohne ideologische Färbung diskutiert. Und je höher die politische Ebene, desto stärker wird der farbliche Einschlag. Die Diskussionen, die die Kirche führt, werden sicherlich andere Tücken haben. Aber ich habe noch keinen Mechanismus erlebt, der unüberwindbare Hürden produziert. Ich nehme in diesen Diskussionen immer den Willen wahr, das Einende statt das Trennende zu suchen. Und das findet man immer. Ich denke, hierin steckt eine große Integrationskraft.

Christian Nottmeier: Politische Prozesse leben von der Diskussion, dem Austausch von Argumenten und dem Ausgleich unterschiedlicher Interessenlagen. Sie leben aber auch davon, dass schließlich auf demokratischer Grundlage Entscheidungen getroffen werden müssen. Wenn es gut geht, ist dabei immer auch das Gesamtbild im Blick. Diesen Gesamtblick wünsche ich mir auch in den kirchlichen Diskussionen. Und sonst mag ich das Wort von Max Weber: „Politik ist ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich.“ Beides braucht auch unsere Kirche.  

"Suchet der Stadt Bestes" - dieses Anliegen teilen Kirchenkreis und Rathaus. Was wünschen Sie sich für Neukölln?

Martin Hikel: Neukölln wird ja medial immer gerne als Schmuddelkind wahrgenommen. Dabei hat der Bezirk in seiner Differenziertheit eine unheimliche Anziehungskraft, nicht umsonst sind freie Wohnungen wie Goldstaub. Das kommt ja nicht daher, dass es so schrecklich bei uns ist, sondern weil Menschen diese Vielfalt schätzen. Und jeden Tag liefern Menschen den besten Beweis für gelungene Integration und starken sozialen Zusammenhalt. Damit jeder das Beste aus sich herausholen kann, haben wir allein in den letzten drei Jahren im Schnitt jeden Tag 115.000 € in unsere Schulen investiert. Und die 1er Abiturienten und die Olympiateilnehmer aus Neuköllner Vereinen beweisen diese Erfolgsgeschichten, die Neukölln jeden Tag schreibt. Dafür lohnt es sich, Politik zu machen und Antworten auf Herausforderungen zu finden, die diese Erfolgsgeschichten oder den sozialen Frieden bedrohen.

Christian Nottmeier: Ich wünsche mir, dass wir gemeinsam den Wandel und die Veränderungen positiv gestalten. Dazu haben die Religionsgemeinschaften und gerade die evangelische Kirche Wichtiges beizutragen. Evangelische Kirche ist für mich mit den Gedanken von christlicher Freiheit und von Gott geschenkter Menschenwürde verbunden. Neukölln kann im positiven Sinne ein Experimentierfeld sein, wie friedliches Zusammenleben, Gemeinsinn und individuelle Entfaltungsmöglichkeiten in unserer Gesellschaft funktionieren. Als Kirche können wir dazu Räume der Begegnung und des Dialogs eröffnen. Dann ist mir vor der Zukunft nicht bange.

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