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"Das ist nicht normal"
"Das ist nicht normal"
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"Das ist nicht normal"
Predigt am 19. Januar 2020 in der Kirchengemeinde Rixdorf
(2. Sonntag nach Epiphanias)
Superintendent Dr. Christian Nottmeier
Predigttext: Jeremia 14, 1-9
1 Dies ist das Wort, das der Herr zu Jeremia sagte über die große Dürre: 2 Juda liegt jämmerlich da, seine Städte verschmachten. Sie sinken trauernd zu Boden, und Jerusalems Wehklage steigt empor. 3 Die Großen schicken ihre Diener nach Wasser; aber wenn sie zum Brunnen kommen, finden sie kein Wasser und bringen ihre Gefäße leer zurück. Sie sind traurig und betrübt und verhüllen ihre Häupter. 4 Die Erde ist rissig, weil es nicht regnet auf das Land. Darum sind die Ackerleute traurig und verhüllen ihre Häupter. 5 Selbst die Hirschkühe, die auf dem Felde werfen, verlassen die Jungen, weil kein Gras wächst. 6 Die Wildesel stehen auf den kahlen Höhen und schnappen nach Luft wie die Schakale; ihre Augen erlöschen, weil nichts Grünes wächst.
7 Ach, Herr, wenn unsre Sünden uns verklagen, so hilf doch um deines Namens willen! Denn unser Ungehorsam ist groß, womit wir wider dich gesündigt haben. 8 Du bist der Trost Israels und sein Nothelfer. Warum stellst du dich, als wärst du ein Fremdling im Lande und ein Wanderer, der nur über Nacht bleibt? 9 Warum bist du wie einer, der verzagt ist, und wie ein Held, der nicht helfen kann? Du bist ja doch unter uns, Herr, und wir heißen nach deinem Namen; verlass uns nicht.
Liebe Gemeinde!
Es brennt. Das ist ein merkwürdiger Geruch, der in meine Nase zieht. Dann sehe ich aus dem Autofenster, dass der Seitenstreifen, aber auch die umliegenden, ausgedorrten Felder in Flammen stehen. Der Rauch, beißend und dicht, zieht über die Autobahn und nimmt mir die Sicht. Ich reduziere das Tempo, so wie es das die Autos vor mir auch tun. Irritiert schaue ich meinen südafrikanischen Beifahrer an. „Das ist bei uns normal“, sagt er. „Winter halt, da kommen die Brände.“ Das leuchtet mir ein und ich lasse mich belehren, schließlich ist es 2013 mein erster Winter in Südafrika. So große Brände bin ich nicht gewöhnt aus Deutschland. Im Norden des Landes – Johannesburg, Pretoria, Bloemfontein - regnet es von April bis Oktober nicht. Die Felder werden gelb und staubtrocken, da genügt ein Funken, um alles zu entzünden. In den großen Nationalparks werden manchmal auch gezielt Flächen abgebrannt. Dann wächst es danach besser. Brände sind erst einmal nicht ungewöhnlich. Normal halt.
„Das ist nicht normal“ – so höre ich es im Winter 2017.. Es ist ungewöhnlich trocken, auch im Sommer hat es nicht geregnet. Die Wasserreservoirs sind nur noch knapp gefüllt. Das Wässern der Gärten, die sonst auch im trockenen Winter Oasen des Grünen sind, wird von den Behörden beschränkt. Viele Menschen sagen mir, so trocken hätten sie es noch nie erlebt - und belegen das mit ihren Messungen in den eigenen Gärten oder Farmen. Denn viele Gespräche in Südafrika beginnen mit der Frage, wieviel Millimeter es in der vergangenen Nacht geregnet oder nicht geregnet hat. Manche schreiben das auch auf und führen seit Jahrzehnten Listen. So schlimm war es noch nie. „Das ist nicht normal,“ das sagen jetzt fast alle. Nun werden auch die Brände gefährlich. Sie sind viel größer als in den vergangenen Jahren und besonders an den Ränder der Ortschaften, da wo die Townships und die anschließenden Elends- und Flüchtlingsviertel liegen, gefährlich. Immer öfter lassen sich die Flammen nicht löschen. In verschiedenen Gegenden werden Bittgottesdienste für Regen abgehalten.
Angus Buchan, ein erweckter Prediger, der viele Anhänger im Land hat, fährt durchs Land und zieht Zehntausende an, die auf improvisierten Gottesdiensten um Regen bitten. Einmal hat´s sogar geklappt. Bei einem Bittgottesdienst in einem Township bei Kapstadt ziehen sich die Wolken zusammen, es blitzt und donnert, schließlich prasselt der Regen. Aber – ich gestehe – solche Geschichten machen mich irgendwie skeptisch. Auch dieses Jahr ist es wieder so, berichten mir Freunde aus Südafrika. Und in der Tageschau sehe ich einen Bericht über die Trockenheit in den Nachbarländern Südafrikas, wo eine Hungersnot befürchtet wird.
„Das ist nicht normal.“ Das sagen auch die Feuerwehrleute aus Australien, die seit Wochen gegen die Buschbrände ankämpfen. Irgendwas ist aus dem Gleichgewicht geraten. Das lässt sich nicht mehr leugnen. Klimawandel wird das gemeinhin genannt. Man kann und soll mit guten Gründen streiten, wie dem zu begegnen ist. Aber eine Realität ist es, vor der es nicht hilft, die Augen zu verschließen und die Hände in den Schoß zu legen.
„Das ist nicht normal“ – das hört auch der Prophet Jeremia. In Juda herrscht eine unbeschreibliche Dürre. Die Erde ist vertrocknet, die Brunnen versiegt, das Vieh verendet oder muss notgeschlachtet werden. Die Lebensgrundlagen sind entzogen, Menschen wissen nicht, wie es weitergehen soll. Alles gerät aus dem Gleichgewicht. Gott selbst klagt und beschreibt es bei Jeremia so:
1 Dies ist das Wort, das der Herr zu Jeremia sagte über die große Dürre: 2 Juda liegt jämmerlich da, seine Städte verschmachten. Sie sinken trauernd zu Boden, und Jerusalems Wehklage steigt empor. 3 Die Großen schicken ihre Diener nach Wasser; aber wenn sie zum Brunnen kommen, finden sie kein Wasser und bringen ihre Gefäße leer zurück. Sie sind traurig und betrübt und verhüllen ihre Häupter. 4 Die Erde ist rissig, weil es nicht regnet auf das Land. Darum sind die Ackerleute traurig und verhüllen ihre Häupter. 5 Selbst die Hirschkühe, die auf dem Felde werfen, verlassen die Jungen, weil kein Gras wächst. 6 Die Wildesel stehen auf den kahlen Höhen und schnappen nach Luft wie die Schakale; ihre Augen erlöschen, weil nichts Grünes wächst.
„Das ist nicht normal“ – sagen auch die Menschen in Juda und Jerusalem. Das, was passiert, wird vielleicht nicht für alle, aber doch für einige zur Anfrage an sie selbst. Sie sind traurig und trüb, das auch. Wer wollte nicht in Sorge verfallen, wenn die eigenen Lebensgrundlagen versiegen? Wenn es nicht nur eine irgendwie wahrgenommene Not ist, sondern zur eigenen wird. „Die Ackerleute sind traurig und verhüllen ihre Häupter.“ Warum werden die Häupter verhüllt? Ist das Einsicht, vielleicht auch in die eigene Verantwortung, ein erster Schritt zur Umkehr?
Das Volk jedenfalls wendet sich an Gott. So lesen wir sein Gebet bei Jeremia als Antwort auf die Klage Gottes:
7 Ach, Herr, wenn unsre Sünden uns verklagen, so hilf doch um deines Namens willen! Denn unser Ungehorsam ist groß, womit wir wider dich gesündigt haben. 8 Du bist der Trost Israels und sein Nothelfer. Warum stellst du dich, als wärst du ein Fremdling im Lande und ein Wanderer, der nur über Nacht bleibt? 9 Warum bist du wie einer, der verzagt ist, und wie ein Held, der nicht helfen kann? Du bist ja doch unter uns, Herr, und wir heißen nach deinem Namen; verlass uns nicht.
Um es gleich zu sagen. Das Volk sieht die Dürre als Strafe Gottes für das eigene Handeln. Es benennt damit Verantwortung, weist nicht auf andere, sondern sieht den eigenen Anteil. Die Dürre wird zur Frage an Gott und ebenso an das eigene Verhalten. Sie stellt nicht nur Gott, sondern auch und v.a. die Menschen in Frage.
Freilich, dass Gott unser Verhalten straft, durch Dürre, Krieg, Katastrophen, dieses Bild möchte ich mir nicht zu eigen machen. Die Feuer in Australien, die Dürre im südlichen Afrika, der Klimawandel insgesamt als göttliche Strafe? Das ist mir dann vielleicht dann doch zu einfach. Einfach nicht mit Blick auf das Bild von Gott, sondern auch das Bild von sich selbst. Denn Gott will ich nicht so denken. Und zugleich mich durch die Deutung von Dürre und Klimawandel nicht einfach aus der Verantwortung stehlen
Warum aber zu einfach? Wohl jedenfalls, wenn das so funktioniert: Ja, stimmt, sagt das Gebet des Volkes, wir haben was falsch gemacht. Sagen wir dir ja gerade. Aber, dann bitte, Gott, komm, hilf uns aus der Patsche, du bist doch Gott, du machst das schon. Zeig dich mit deiner Herrlichkeit. Bitte, mach, du bist doch unser Trost. Fast höre ich da aber auch einen drohenden Unterton. Gott, wenn du jetzt aber nichts tust, dann bist du Schuld. Wir sehen es ja ein, also hilf uns schon.
Einfache Auswege, das zeigt auch die Geschichte Jeremias und seines Volkes, sind versperrt. Die Gegenwart der Katastrophen wird nicht nur zur Frage an Gott, sondern zunächst v.a. zur Frage an uns Menschen. Da tritt zunächst die Schuld, die Verantwortung, die Verstrickung von uns Menschen zutage. Wir sind verantwortlich für unser Tun, in vielfacher Hinsicht. Auch mit Blick auf den Klimawandel stellt sich diese Frage. Es geht nicht darum, damit Angst, Hysterie und apokalyptische Szenarien zu befördern. Angst und Fatalismus sind keine Lösungen. Aber Leugnen, Wegschauen und Nichtstun erst recht nicht.
„Unsere Sünden verklagen uns“ sagt das Volk - um dann schnell, zu schnell um Hilfe zu rufen. Und ich denke, vielleicht muss ich diesen Satz erst einmal aushalten, darf mich nicht aus meiner Verantwortung stehlen, auch nicht mit den falschen Ausreden, dass ein Einzelner eh nichts bewirken kann. Vielleicht muss ich mich dem erst einmal stellen, was bei allen guten Absichten meine Verantwortung ist, für mein Leben und für die Welt, in der ich lebe. Vielleicht muss ich genau diese Klage, diese Verantwortlichkeit, diese Frage aushalten, zur Frage zunächst an mich und nicht andere machen. Ehrlich sein, auch zu mir selbst. Was kann ich mit meinem Leben, meiner Freiheit, meiner Verantwortung anfangen? In den vermeintlich kleinen Dingen des Alltags, aber auch darin, wie sie sich in gesellschaftliche und politische Zusammenhänge einfügen.
Um es noch einmal zu sagen, es geht nicht um Angstmache, um unendlich schwere Sündenschuld. Es geht nicht um moralische Verurteilung oder Diffamierung von Lebensstilen. Aber es geht darum, dass ich mich in Unruhe versetzen lasse. „Verlass uns nicht“ ruft das Volk, und eigentlich steht da: „Lass uns nicht in Ruhe.“ Die Katastrophen dieser Welt, der Wandel unseres Klima, werden nicht nur zur Frage: „Wie kann Gott das zu lassen?“, sondern mindestens ebenso zur Frage: „Wie kann ich, wie können wir das zulassen?“
Dann muss ich nicht immer vorschnell Gott als Retter anrufen, von dem ich schnelle Änderung erwarte. Sondern ich kann zu ihm rufen als einem, dem ich mein Leid, meine Verzweiflung auch mein Unvermögen anvertraue, ohne dass Gott sofort was tun soll. Gott ist dann nicht einfach eine Nothilfe, wenn nicht weiter weiß. Sondern Gott ist einer, der mich in Unruhe versetzt und so Veränderung ermöglicht. Weil Gott selbst an dieser Welt leidet, so wie es die Gottesklage über jene längst vergangene Dürre bei Jeremia bezeugt. Gott leidet, an dieser Welt, an unserer Hilflosigkeit. So gibt er uns Trost und Mut zur Veränderung. Selbst und gerade, wenn´s brennt und wir nicht weiterwissen. Er lässt uns nicht in Ruhe. Und gibt uns manchen tröstlichen Fingerzeig, dass schließlich in seinem Namen die Liebe wie das Leben siegt. So wie der Mandelzweig in den Versen Schalom Ben-Chorins, die wir gleich singen werden.
Amen!
Lied nach der Predigt: Freunde, dass der Mandelzweig (Singt Jubilate 132)
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