20 Jahre Kirchenkreis Neukölln - Festpredigt von Martin-Michael-Passauer

20 Jahre Kirchenkreis Neukölln - Festpredigt von Martin-Michael-Passauer

20 Jahre Kirchenkreis Neukölln - Festpredigt von Martin-Michael-Passauer

# Kreissynoden: Referate und Predigten

20 Jahre Kirchenkreis Neukölln - Festpredigt von Martin-Michael-Passauer

Mit einem Festgottesdienst feierte die Kreissynode am 24. November 2018 auf ihrer Herbstsynode in Großziethen das 20jährige Bestehten des Evangelischen Kirchenkreises Neukölln. 1998 fusionierte der damalige Kirchenkreis Neukölln mit 19 Gemeinden aus dem damaligen Kirchenkreis Königs Wusterhausen.

Die Predigt am 24. November 2018 hielt Generalsuperintendent i.R. Martin-Michael-Passauer.

Wenn der HERR die Gefangenen Zions erlösen wird, so werden wir sein wie die Träumenden. 
2 Dann wird unser Mund voll Lachens und unsre Zunge voll Rühmens sein. Da wird man sagen unter den Völkern: Der HERR hat Großes an ihnen getan! 
3 Der HERR hat Großes an uns getan; des sind wir fröhlich. 
4 HERR, bringe zurück unsre Gefangenen, wie du die Bäche wiederbringst im Südland. 
5 Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten. 
6 Sie gehen hin und weinen und tragen guten Samen und kommen mit Freuden und bringen ihre Garben.     Verse aus Psalm 126

Liebe Kreis-Synodale, liebe Schwestern und Brüder!

Als ich von Ihrer verehrten Frau Präses gefragt wurde, ob ich heute hier zum Beginn der Kreissynode die Predigt halten würde -  und sie den Anlass ihrer Anfrage sagte, - kamen  mir natürlich spontan Erinnerungen.

„Und es gibt nichts Lebendigeres als die Erinnerung“ lehrt uns der Schriftsteller Garcia Lorca.

Eine  Erinnerung mache ich zum Thema meiner Predigt:
Ich wurde  als sog.  „Ost- Schüler“ am Evangelischen Gymnasium, heute Graues Kloster, durch den Mauerbau  am 13.August 1961 unsanft aus allen Lebensträumen gerissen wurde. Nun war ich wieder in die DDR zurückgeworfen, aus der ich innerlich schon lange ausgewandert  war. Nach einem kirchlichen Abitur in Potsdam-Hermannswerder,  kam ich – immer noch mit Zorn und Tränen in der Seelen ach Greifswald zum Theologiestudium.

Und es war genau diese Zeit zwischen Volkstrauertag  und Ewigkeitssonntag mit dem Bußtag. Ich sang im Greifswalder Domchor und mein erster öffentlicher Auftritt war das Requiem von Brahms. Der erste Chorus, waren Verse aus dem Psalm 126:

Meinem Thema heute:
„selig sind, die da Leid tragen denn sie sollen getröstet werden. Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten. Sie gehen hin und weinen und tragen edlen Samen und kommen mit Freuden und bringen ihre Gaben„

„Die mit Tränen säen….. „ ja, so meine spontane Erinnerung, an den Kirchenkreis Neukölln und seinen Weg, ja, am Anfang dieses Fusions-Prozesses gab   es viele Tränen und Verletzungen.  

Durch den Mauerfall im November 1989  und  die Einheit Deutschland, 1990,  musste sich auch unsere Berlin-Brandenburgische Kirche neu zusammen finden. Manche Westberliner Kirchenkreise waren sehr groß und auch nicht ganz mittellos. Andere Kirchenkreise – meist aus dem DDR-Bereich kommend – waren genau das Gegenteil. 

Auch wenn  die Mauer  unsere Berlin-Brandenburgische Kirche und in ihr Kirchenkreise und Gemeinden trennten ,  haben  es die beiden Gemeindekirchenräte der Gemeinde Schönefeld und Groß Ziethen im August 1961 anders gemacht. Tränen mit Hoffnung. Weise haben sie  formuliert: „wir  werden   uns immer zum Kirchenkreis Neukölln zugehörig fühlen.“ Und dann geschah das Wunder. Wir alle konnten zusehen, wie Mauern eingerissen wurden.  

 Anlässlich einer Kirchenleitungsvisitation im September 1990 „in grenznahen Gemeinden“ wie es damals hieß, hatten beide Gemeinden auf ihre Zugehörigkeit zum KK Neukölln beharrlich hingewiesen.  Und so waren sie dann – nach einem langen und schmerzhaften Ablösungs-Prozess aus dem Kirchenkreis Oberspree  - 1996 im KK Neukölln wieder beheimatet. Auch hier ging es nicht ohne Tränen ab.  Aber die ersten Schritte waren gemacht.

Denn diese sog. Eingemeindung“ war wohl auch ein Auslöser, noch grundsätzlicher zu überlegen, welche Gemeinden sich eventuell zukünftig zusätzlich   im KK Neukölln beheimaten wollen.

Und die ersten Begegnungen stelle ich mir schwer vor, sehr schwer: Ost trifft auf West, klein trifft auf groß, arm trifft auf reich, Trabant trifft auf Opel, Neubau auf Alt-Bau, baufällige  auf sanierte Kirchengebäude  

Vielleicht redete man damals  anfangs ähnlich aneinander vorbei

wie bei folgender  Begegnung, :
In der Nähe eines Indianerreservats treffen  ein amerikanischer Präsident und ein Indianerhäuptling  aufeinander   Leider verstehen  beide die Sprache des jeweils anderen nicht. So   versuchten sie sich   mit Handzeichen zu verständigen.

Der Indianer zeigte mit dem Finger auf den Präsidenten. Dieser streckte darauf zwei Finger v-förmig zum Himmel. Der Häuptling stellte darauf mit beiden Händen ein Dach dar und die Antwort des Präsidenten war, dass er mit der Hand einen horizontalen Strich in die Luft malte.

Das war die ganze Unterhaltung. Beide gingen nach Hause und erzählten ihren Frauen von der Begegnung. Der Präsident sagte zu seiner Frau: Liebe Frau, stell dir vor, es gibt Krieg. Ich traf einen Indianerhäuptling bei einem Reservat. Er sagte zu mir: Ich knalle dich ab! Und ich darauf: Pass auf, ich habe 2 Armeen. Und der Indianer: Ich habe viele Indianerstämme. Und ich: Ich komme wieder, wir werden die Stämme dem Erdboden gleich machen.

Auch der Indianerhäuptling erzählte seiner Frau von seiner Begegnung: Liebe Frau: Heute hatte ich eine eigenartige Unterhaltung mit einem Weißen. Ich fragte ihn: Wer bist du? Und er: Ein Hase! Ich fragte ihn: Ein Berghase? Und er: Nein, ein Feldhase.

Es ist  auch heute noch überall auf der Welt so, wenn Menschen, aufbrechen, sich aus gewohnten Strukturen  lösen, sich auf den Weg machen und eine neue Heimat suchen, treffen sie auf Fremde und Fremdes. Auf fremde Sprachen und Gebräuche, fremde Zeichen und Lebenseinstellungen.   Und so  kommt, was kommen muss,

„sie gehen hin und weinen und tragen edlen Samen ….“

Wir müssen uns dies nur einen Moment vorstellen:

Ein großer West-Berliner Kirchenkreis mit einem innovativen, offenen und sehr kommunikativen Superintendenten Wolfgang Gebreit – seit 1981 im Amt, trifft auf einen wesentlich kleineren  „grenznahen Ost-Kirchenkreis mit einem Superintendenten Wolfram Hülsemann, - seit 1995 im Amt.

Ein großer Kirchenkreis mit damals 20 Gemeinden,  wirbt um die Gunst von wenigstens 19 kleineren bis Kleinst-Gemeinden am Rand von Berlin.  Da aber auch der Sprengel Cottbus mit dem damaligen Gensup -  Rolf Wischnath -  Begehrlichkeiten im Blick auf eine Vergrößerung seines  ländlichen Kirchengebietes hatte, gaben die sog. Fusions-Gespräch nicht immer das wieder, was die Bibel mit dem schönen Bild beschreibt: „

O -  wie fein und lieblich ist es, wenn Brüder und Schwestern einträchtig beieinander wohnen“

Da war schon mehr als einmal der Wunsch,  den Trost aus dem Requiem zu bemühen: Selig sind die da Leid tragen denn sie sollen getröstet werden.“

Liebe Synodale, ja „es gibt nichts Lebendigeres als die Erinnerung“.

Und so wäre noch viel zu sagen und zu erzählen.

Aber für mich, als einem der damaligen aktiven Tröster, ist die Geschichte  von Kirchenkreis Neukölln zum „Evangelischen Kirchenkreis Neukölln,“ wie eine lebendige Auslegung dieses Psalms 126.  Dem Hoffnungspsalm schlechthin. Er wird deshalb manchmal auch das „Volkslied der Juden“ genannt. In frommen jüdischen Familien wird er jede Woche zur Feier des Sabbats gesungen oder gelesen.

Dieser Psalm, liebe Synodale, singt ein Lied der Erinnerung. Und in dieser Erinnerung wird nichts ausgespart. Höhen und Tiefen werden besungen, Tränen und Leid, Auseinandersetzungen und Zweifel, Klagen und   Jammern. Die scheinbar guten alten Zeiten werden bemüht. Zeiten, in denen man sich gemütlich eingerichtet hat. An Zeiten, von denen man der Sicht von heute immer meint, dass sie besser waren.

Und darauf reagiert dieser Hoffnungs-Psalm. Er reagiert mit der klaren Botschaft: wer sich auf den Herrn verlässt, ist niemals verlassen. Das Ende geht immer gut aus. Aus Weinen wird Lachen. Auch Jammern wird kreatives Klagen.

Auf dem Hintergrund der heute erkennbar guten und verantwortlich gelebten Gemeinschaft in Ihrem Kirchenkreis, will ich auf diese eine feine Unterscheidung aufmerksam machen.

Beim Betrachten der alltäglichen Gegenwart in unserer Kirche und unserer Gesellschaft,  beim Beschreiben  mancher Unwegsamkeiten,  Havarien und Hürden, empfundener Benachteiligung und Ungerechtigkeiten, ist die Gefahr groß, ins Jammern und ins Resignieren zu verfallen.  Tagtäglich begegnet uns dies.

Der Psalm, liebe Gemeinde, setzt dem etwas entgegen: Und zwar die Klage! Denn Klagen ist etwas ganz anderes als Jammern. Wer jammert, der bleibt mit seinem Elend bei sich. Er tut sich nur selber leid und umgibt sich derart mit seinen Sorgen, dass er irgendwann überhaupt nichts anderes mehr sieht. Jammern führt so zwangsläufig zur Resignation… - Wer aber klagt, der gibt seinem Elend eine Richtung. Er bleibt gerade nicht bei sich, sondern durchbricht die Mauer seiner Sorgen, wird aktiv und macht sich auf den Weg.

Solches Klagen können wir von Israel lernen! Der Psalm lässt uns erkennen, wie das Volk nicht in seiner Not versinkt, sondern sie emporhebt und vor Gott bringt. Solche Klage befreit und eröffnet neue Perspektiven. Die Erinnerung daran, wie Gott in der Vergangenheit für Rettung gesorgt hat, führt Israel unübersehbar vor Augen, dass nichts, aber auch gar nichts so bleiben muss wie es ist! Die tiefsten Abgründe und die unüberwindbarsten Mauern können überwunden werden. Der Name Jesus Christus steht für alles.

Der Fall der Mauer vor 29 Jahren und die Deutsche Einheit sind für mich die lebendigste Auslegung dieser Beharrlichkeit Gottes. Wer klagt und hofft, wer weint und betet, wer schimpft und mit baut, der hat immer unseren treuen Gott an seiner Seite. Denn in allem gibt er die Hoffnung nicht auf. Das ist die Stärke unseres Glaubens, mit der wir uns in unsere Gesellschaft einmischen können – und sollen.

Als sich der Kirchenkries Neukölln mit seinen neuen Gemeinden auf den Weg machte,  um zu einem gemeinsamen Ganzen zu finden, war es nach meiner Kenntnis einer der ersten Schritte des Superintendenten Gerbeits,  in allen 19 südlichen Gemeinden Besuche zu machen.  Der Besuch, das Gespräch, das Zu- und Hin – Hören, und das genaue Wahrnehmen der Situation des jeweils anderen war und ist wichtige Voraussetzung, für unser gemeinsames Kirche sein im  21.Jahrhundert. Das ist unsere Stärke, das haben wir gelernt – auch aus diesem Ihren Kirchenkreis Neukölln.  

Und das zweite was dann folgte,  war die gelebte Partnerschaft und damit verbundenen Transparenz.

Der spätere Superintendent, Bernd Szymanski,  schreibt 2006  in seinem Visitationsbericht:

Durch eine Strukturanpassungs- und Erprobungsverordnung für unseren Kirchenkreis wurde für den Zeitraum bis ins erste Halbjahr 2002 hinein die Zusammensetzung der Kreissynode und des Kreiskirchenrates sowie die Superintendentenwahl so geregelt, dass die bestehenden Gremien (Kreissynode und KKR) zusammen gefügt wurden. Damit war ein entscheidender Schritt zu einem gleichgestellten Miteinander beider Partner getan, und der kleinere Partner war in der Anfangsphase ungeschmälert in den Entscheidungsgremien repräsentiert. Beide Kreissynoden haben je für sich einmütig den neuen Namen beschlossen: „Evangelischer Kirchenkreis Neukölln“.

Liebe Synodale, was aus heutiger Sicht fast selbstverständlich ist – und kaum der Rede wert, ist die Folge eines sehr verantwortlichen Umgangs mit der uns anvertrauten biblischen Botschaft.

Geradezu symbolhaft dafür ist  die neue Namensfindung. Aus dem „Kirchenkreis Neukölln“ wurde der „Evangelische Kirchenkreis Neukölln“ Durch die Hinzufügung dieses scheinbar kleinen Wortes „Evangelisch“ hat der Kirchenkreis seine innere Mitte gefunden. Fast lautlos beschreibt er Verständigung, Übereinstimmung und Verankerung – im Evangelium. .

Evangelisch – dem Evangelium von Jesus Christus verbunden – gehen Sie erhobenen Hauptes durch diese Welt. Das nötigt mir alle Hochachtung ab und ich danke Ihnen allen, für Ihre tolle Arbeit gestern und heute. Ich danke besonders allen, die vor Ihrer und unsere Zeit mitgeholfen haben, dieses so besondere Geschenk innerhalb unserer EKBO mit zu gestalten.   

Zum Ökumenischen Kirchentag 2003 gab es eine Informationsbroschüre, mit der sich Ihr Kirchenkreis allen Besuchern vor – und dargestellt hat.

Der Titel hieß:

„Vom Hermann - Platz bis zum Spreewaldrand – Vielfältig im Handeln – Vereint im Glauben : Der Evangelische Kirchenkreis Neukölln.“

Eine tolle Verpflichtung.

Für diesen Weg wünsche ich ihnen allen aus vollem Herzen auch weiter den Segen unseres guten Gottes. Amen

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